Deutschland als Wegbereiter bei der internationalen Bekämpfung von hybriden Bedrohungen?

Kaan Sahin │ 05. Dezember 2016



PoschSpätestens seit der Ukraine-Krise und dem andauernden Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) sind hybride Bedrohungen Bestandteil der Agenda der Bundesregierung. So nehmen die hybriden Bedrohungen sowohl in dem neuen Weißbuch als auch in der Konzeption Zivile Verteidigung, welche beide im Jahr 2016 veröffentlicht wurden, eine wichtige Rolle ein. Doch neben diesem nationalen Engagement beteiligt sich Deutschland auch aktiv bei der Bekämpfung hybrider Bedrohungen auf der internationalen Ebene.

Das internationale Engagement Deutschlands
Die Bundesregierung ergriff hierbei zunächst militärische Maßnahmen gegen hybride Bedrohungen. In Bezug auf die Rückversicherung der NATO-Partner im Baltikum und in Polen übernahm Berlin schnell Verantwortung und wirkte aktiv am Aufbau der NATO-Speerspitze (Very High Readiness Joint Task Force, VJTF) mit; im Jahr 2019 wird die Bundeswehr sich zudem als Rahmennation (Framework-Nation) bei der Aufstellung der VJTF beteiligen. Verstärkend kommt hinzu, dass Deutschland mit der Entsendung mit bis zu 650 Soldaten inklusive Leopard-2 Panzern in 2017 die Rahmennation in Litauen im Kontext der NATO Enhanced Forward Presence bildet. Strenggenommen lässt sich auch das deutsche Engagement im Anti-IS-Kampf im Irak und auf dem Militärstützpunkt Incirlik in der Türkei als Beitrag zur Bekämpfung hybrider Bedrohungen interpretieren.

Weniger Beachtung wird jedoch dem Beitrag der Bundesregierung im nicht-militärischen Bereich geschenkt. Im neuen Weißbuch 2016 wird eine Zusammenarbeit zwischen der primär mit militärischen Aufgaben beauftragten NATO und der EU, die auf mehreren Politikfeldern Gestaltungsmacht besitzt, bei der Konfrontation von hybrider Bedrohungen als notwendig betrachtet. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass Deutschland im Oktober 2015 ein Gedankenpapier mit dem Titel “EU-NATO cooperation in the context of hybrid threats/hybrid warfare“ jeweils in der NATO und in der EU vorgelegt hat. Laut Carsten Breuer, Leiter der Projektgruppe Weißbuch 2016 im Bundesministerium der Verteidigung, geht es dabei wesentlich um die Kooperation zwischen beiden Brüsseler Organisationen sowie „die Bedeutung der Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses der Herausforderung ‚hybrider Kriegsführung‘ über den Aufbau gemeinsamer Analysefähigkeiten (‚Joint Analysis Platform for hybrid threats/hybrid warfare‘)“.

Gerade beim letztgenannten Aspekt der Analyse- und Aufklärungsfähigkeiten zeigt sich eine besondere Rolle Deutschlands, da sowohl bei der NATO als auch bei der EU die jeweiligen nachrichtendienstlichen Dienststellen mit deutschen Behördenleitern besetzt sind: Den in der NATO neu geschaffenen Posten des Assistant Secretary-General for Intelligence and Security wird der ehemalige BND-Vizepräsident Arndt Freytag von Loringhoven übernehmen. In diesem Amt wird Freytag von Loringhoven einen Mitarbeiterstab leiten, der die von den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellten Geheimdienstinformationen analysiert und auswertet. Bei der EU ist hierfür das zivile EU Intelligence Analysis Center (INTCEN) zuständig, bei dem der ehemalige BND-Mitarbeiter Gerhard Conrad als Behördenleiter fungiert und auch sekundierte Experten aus Deutschland tätig sind. Im INTCEN selbst wurde die eigens auf hybride Bedrohungen ausgerichtete EU Hybrid Fusion Cell errichtet.

Ferner beteiligt sich Deutschland an dem im Aufbau befindenden Hybrid Threat Center der EU in Finnland, welches sich mit der Bekämpfung von hybriden Bedrohungen beschäftigen wird. Der Fokus des multinationalen und interdisziplinären Centers soll auf eine intensivierte Kommunikation und Bewusstseinsförderung unter den Staaten in Bezug auf hybride Bedrohungen gelegt werden. Auch das Verfassen von Studien und Analysen wird zu dem Aufgabenspektrum des Centers gehören. Zudem soll die geplante Dienststelle eng mit der NATO und mit dem Rat für Auswärtige Angelegenheiten der EU kooperieren und mit Offiziellen von beiden Organisationen besetzt werden.

Das internationale Engagement Deutschlands 2.0 ?
Das zuvor beschriebene Engagement zeigt, dass die Bundesregierung richtigerweise die internationale Kooperation und verbesserte Aufklärungsfähigkeiten als elementar für die Bekämpfung von hybriden Bedrohungen erkannt hat. Ferner zeigt Deutschland berechtigterweise mit seinem Werben für ein gemeinsames EU-NATO Verständnis, dass aus der Aufklärung und Analyse von Gefahren erst dann eine gute zwischenstattliche Kooperation entstehen kann, wenn alle Bündnispartnern unter hybriden Bedrohungen so gut wie es geht das Gleiche verstehen. Berlin könnte sein internationales Wirken im Kontext hybrider Bedrohungen noch weiterführen, was exemplarisch an drei Vorschläge illustriert werden kann:

  • Narrativbildung bei nicht-militärischen Elementen der Resilienzstärkung: In Bezug auf hybride Bedrohungen ist der Ruf nach militärischen Maßnahmen auf internationaler Ebene, vor allem aus Osteuropa, um einiges lauter als nach nicht-militärischen. Hier könnte Deutschland aktiv einen Diskurs anstoßen, der die gleichzeitige Bedeutung ziviler Resilienz unterstreicht. Denn hybride Aktivitäten zielen gerade auf nicht-militärische Verwundbarkeiten ab. Ein Ansatzpunkt könnte hierbei sein, dass die Bundesregierung beispielsweise ihren östlichen Allianzpartnern aufzeigt, dass die Solidarität zwischen EU-Mitgliedstaaten ein wesentlicher Aspekt bei der Verteidigung gegen hybride Bedrohungen ist – ein Punkt, der gerade inmitten der schwierigen Kooperation in der Flüchtlingsfrage immer wichtiger wird. Gerade diese Uneinigkeit auf europäischer Ebene ist ein Ziel von hybriden Aktivitäten. Mit anderen Worten: Mit hybrider Kriegsführung als Werkzeug wird versucht, bestehende Unstimmigkeiten zwischen Bündnispartnern noch weiter zu forcieren, um deren Motivation bei der Handlungs- und Kooperationsfähigkeit zu schwächen. Gerade daher ist es wichtig, dass die Bündnissolidarität so gut wie es geht über alle Politikfelder hinaus gewahrt wird.
  • Beitrag zur Überwindung von perception gaps: Im Gegensatz zu den meisten anderen NATO-Mitgliedstaaten, die zumeist in Bezug auf hybriden Bedrohungen den primären Fokus entweder auf Russland oder den IS legen, bezieht sich der deutsche Sicherheitsapparat explizit auf beide Akteure. Die Bezugnahme auf beide Akteure liegt wohl darin, dass Deutschland wie fast kein anderes Land im Bündnis von beiden Akteuren ins Visier genommen wird. Dennoch könnte Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen und den Bündnispartnern vermitteln, dass sich alle Mitgliedstaaten der NATO und der EU mit allen Quellen hybrider Bedrohungen beschäftigen sollten, unabhängig von ihrer unmittelbaren Betroffenheit. Erstens ist dies wichtig für den Zusammenhalt unter verbündeten Staaten. Gerade bei hybriden Bedrohungen spielt die psychologische Komponente der Unterminierung der Moral des Gegners eine wichtige Rolle, sodass durch den Zusammenhalt unter den Bündnispartnern eine wichtige politische Message gesendet wird. Zweitens kann ein Staat, der bisher durch einen bestimmten Akteur nicht anvisiert wurde, von diesem zu einem späteren Zeitpunkt überrascht werden. Hybride Bedrohungen bauen gerade auf unerwartete Aktionen. Eine solche Einstellung würde auch eine Mentalität der Wachsamkeit fördern.
  • Einbezug anderer internationaler Organisationen: Die Bundesregierung hat die NATO und EU richtigerweise als wichtige Akteure bei der Bekämpfung hybrider Bedrohungen identifiziert. Dieses oben beschriebe Engagement kann aber auch auf andere Organisationen ausgeweitet werden. So könnte Deutschland Initiativen im Kontext der Vereinten Nationen vorantreiben, um beispielsweise die rechtlichen Schranken dieser neuen Form der Kriegsführung auf der Basis des Völkerrechts zu regeln. Dies wäre vor allem vor dem Hintergrund sinnvoll, da die hybride Kriegsführung auch in nicht-europäischen Regionen ein Thema ist. Das lässt sich gut am Beispiel China illustrieren: Einerseits erkennt die chinesische Regierung hybride Bedrohungen als eine Gefahr für die Sicherheit ihres Landes an; andererseits wird China selbst nachgesagt, dass es Russlands hybrides Vorgehen in der Ukraine sowohl im Cyberspace als auch im Konflikt im Südchinesischen Meer aktuell nachahmen würde.

Indem die Bundesregierung sich sowohl an militärischen als auch an nicht-militärischen Maßnahmen bei der Bekämpfung hybrider Bedrohungen auf der internationalen Ebene beteiligt, gibt sie zu verstehen, dass sie den umfassenden Charakter dieser Gefahr in ihren Grundzügen verstanden hat. Gerade aus dieser Position heraus hat Deutschland das Potential, ihren Bündnispartnern aufzuzeigen, dass weiche bis hin zu abstrakte Elemente neben den militärischen Maßnahmen bei der Verteidigung von hybriden Bedrohungen ebenfalls essentiell sind.

Kaan Sahin arbeitet zurzeit als Mercator Fellow beim International Institute for Strategic Studies (IISS) in London.

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